Aspekte zur Berufung des Ständigen Diakons
In einer Zeit des tiefgreifenden gesellschaftlichen und kirchlichen Umbruchs bedarf es auch einer Reflexion der Entwicklung und Neuausrichtung der verschiedenen Ämter und Funktionen innerhalb der Kirche. Dies gilt nicht zuletzt für die inhaltliche Grundlage des Diakonats des verheirateten Ständigen Diakons. Die folgenden Gedanken sind einige Aspekte aus der langjährigen Begleitung von Diakonen in Rente, deren Frauen und Witwen sowie Ergebnis von fast 50 Jahren Entwicklung innerhalb der Schönstätter Diakonen-Gemeinschaft (SDG). Sie sind keine umfassende Darstellung, sondern wollen Anstoß für eine weiterführende theologische und praxisorientierte Reflexion und Weiterentwicklung eines neu reflektierten Ständigen Diakonats sowie damit auch für eine neue Akzentuierung in der Ausbildung sein.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Berufung eines verheirateten Mannes – und zukünftig möglicherweise einer verheirateten Frau – zum Ständigen Diakonat. Diese Berufung entfaltet sich – in jedem Alter - in dreifacher Hinsicht. Dabei wird Berufung in allen Bereichen immer als persönliche Berufung von Gott verstanden.
- Berufung zum zivilen Beruf
Auf die Frage an Diakone in Rente, wieweit in der pastoralen Ausbildung zum Ständigen Diakon und später im konkreten Praxisfeld eine formale, vor allem aber auch inhaltlich-spirituelle Verbindung zwischen ihrem Ursprungsberuf und der Aufgabe des Diakons reflektiert worden bzw. umgesetzt worden sei, verneinten dies alle. Der zivile Beruf als Berufung ist jedoch zentraler Ausdruck der Persönlichkeit eines Menschen. Der Ursprungsberuf und der Ständige Diakonat sind also verbunden durch ihre Qualifizierung als Berufung.
- Berufung zu Ehe und Familie
Der verheiratete Diakon ist zum Leben in Beziehung und zu einer ehelichen Beziehung und Familie berufen. Diese Berufung geht der Berufung zum Diakon voraus. Die Entscheidung, mit seiner Frau in sakramentaler Ehe einen dauerhaften und unverbrüchlichen Lebensweg zu gehen, beruht wesentlich darauf, auf eine Lebensgemeinschaft mit einem anderen Menschen existenziell innerlich angelegt und angewiesen zu sein. Im konkreten Zusammenleben von Mann und Frau bedeutet dies, in allen Lebensbereichen eine Lebensgestaltung auf Augenhöhe auf einer gemeinsam getragenen geistlichen Grundlage. Die inhaltliche Bedeutung dieses Vorgangs kann in an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden; sie bedarf einer ausführlichen Erörterung. [1]
Mit dem Tod der Ehefrau endet nicht das Angewiesen sein auf eine Partnerschaft. Für viele Ständige Diakone ist daher eine neue Beziehung existentiell, auch zur Erfüllung ihrer Aufgabe als Diakon. Die Verpflichtung mit der Weihe, nach dem Tod der Ehepartnerin zölibatär zu leben, es sei denn, Kinder seien noch zu versorgen oder es liege eine andere Pflegebedürftigkeit vor, widerspricht der Lebensrealität und Berufung eines existentiell auf Beziehung angelegten Menschen. Mehr noch wird dadurch die eheliche Partnerschaft auf eine Versorgungsgemeinschaft reduziert. Die Bedeutung dieser Situation für die Eheleute, insbesondere auch für die zweite Ehefrau, bedarf einer eigenen Reflexion.
Aufgrund dessen ist es dringend erforderlich, diese Verpflichtung aufzuheben. Damit würde gleichzeitig auch die Frage einer Dispens für eine neue Ehe, gleich ob von Rom oder zukünftig evtl. dem Bischof vor Ort, entfallen. Es sollten nicht die Augen vor der Tatsache verschlossen werden, dass trotz Ablehnungen von Dispensen Diakone dennoch in Beziehungen leben.
- Berufung zum Ständigen Diakon
Die Berufung zum Diakon entwickelt sich aus der Lebenswirklichkeit und der Lebensgeschichte eines Menschen, dessen Spiritualität und schließlich seiner Verbundenheit mit der Kirche. Sie steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Berufungen zu Beruf und Ehe und Familie und ist nicht davon zu trennen. Aus diesen Berufungselementen ergibt sich eine eigenständige Aufgabe innerhalb der unterschiedlichen Dienste der Kirche. Der Ständige Diakon hat ein eigenständiges Profil, das sich nicht am Dienst des Priesters ausrichtet.
Berufung als Frau und Ehepartnerin
Während der Ausbildung zum Ständigen Diakonat sind der Regel die Ehefrauen insofern im Blick, dass für sie das eine oder andere Angebot, gegebenenfalls auch gemeinsam mit den Männern, gestaltet wird, eine umfassende Reflexion dessen, was das „Ja“ zur Weihe ihres Mannes sowie welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten, geschieht in der Regel nicht. Zu Beziehung und Ehe sind jedoch beide Partner berufen. Das „Ja“ zur Ehe sprechen sich beide gegenseitig zu und gestalten den Weg des Lebens auf Augenhöhe miteinander. Das „Ja“ zu Weihe als verpflichtende Voraussetzung für die Weihe ist eine „Zustimmung zu einer Aufgabe eines anderen“, mit dem die Frauen nicht unmittelbar etwas zu tun haben. Es bedarf also auch vor der Weihe einer intensiven, auch geistlichen Reflexion auf dem Hintergrund der eigenen Berufung für die Frauen, welche Rolle sie für jeweils sich selbst mit diesem „Ja“ zu Weihe gestalten oder auch nicht gestalten wollen. Es bedarf daher auch vor der Weihe eine intensive Suche nach einem zu ihnen passenden Weg, die neue Situation in ihr gemeinsames Leben zu integrieren.
Berufung und Alter
Berufung zu einem Beruf oder Dienst, zu Beziehung und Partnerschaft sowie zu einer konkreten Aufgabe kann bis zum Lebensende erfolgen. Sie ist unabhängig vom Alter. Dabei genügt ein Blick z. B. auf Papst Franziskus, der in seiner späten Berufung zum Papst grundlegende erneuernde Sichtweisen und Veränderungen angestoßen hat und anstößt. Oder im gesellschaftlichen Raum in Deutschland beispielsweise Konrad Adenauer, der im Alter von 72 Jahren zum Bundeskanzler berufen wurde und zentral den Neuaufbau eines ganzen Landes steuerte. Andere Beispiele wären in Vielzahl zu benennen. Lebenserfahrung, Berufserfahrung, Beziehungs- und Familienerfahrung, Menschenkenntnis, Glaubensfestigkeit und Spiritualität u.a. können auch eine ganz neue Aufgabe im Alter eröffnen, zu der ein Mensch für die Zeit berufen wird, die ihm im Alter noch gegeben ist und die er mit all seinen Erfahrungen ausgestalten kann. Genau darin liegt die Chance zur Berufung in ein kirchliches Amt im Alter, auch zum Ständigen Diakonat, die Kirche in der heutigen Zeit braucht, um ihren originären diakonischen Auftrag und Ort mitten unter den Menschen zu erfüllen.
Vielleicht an dieser Stelle das Gleichnis von den Arbeitern in Weinberg (Mt 20, 1-16) eine stützende Hilfe sein. Der Weinbergbesitzer ruft seine Arbeiter vom frühen Morgen bis fast in die Abendstunden in seinen Weinberg. Er entlohnt sie am Ende des Tages alle gleich. Auf die Fragestellung des Alters einer Berufung übertragen bedeutet dies, dass Gott selbst bis ins hohe Alter zu einer Aufgabe und somit zu einem Dienst und Amt auch in der Kirche berufen kann.
Ständiger Diakonat und gesellschaftliches und gesellschaftspolitisches Engagement[2]
Wir leben in einer Zeit, in der unterschiedliche – auch autoritäre und antidemokratische – Gruppen und Parteien ihre Werte als Orientierung anzubieten und durchzusetzen versuchen. Oft sogar mit der Argumentation, dies auf der Grundlage christlicher Orientierungen zu tun. Der Einfluss der Kirchen mit ihrem Angebot christlicher Werte auf dem Hintergrund eines christlichen Menschenbildes und dem damit verbundenen Verständnis von Freiheit, die letztlich Grundlage und durchgehender roter Faden des Grundgesetzes sind[3], nimmt in den letzten Jahrzehnten immer mehr ab.
Es bedarf in Zukunft Vertreterinnen und Vertreter der Kirche, die sich auch gesellschaftspolitisch klar positionieren, wie es auch viele Priester in der Zeit von 1933 angetan haben, um den immer stärker um sich greifenden Tendenzen etwas entgegenzusetzen. Der Ständige Diakonat beinhaltet beide Dimensionen: Das konkrete caritative Engagement und auf dem Hintergrund des Evangeliums das klar positionierte gesellschaftspolitische Handeln als Anwalt gerade der in der Gesellschaft sozial schwachen, ausgegrenzten und in vielerlei Hinsicht bedrohten Menschen aus einer tiefen eigenen christlichen Spiritualität heraus. Wer könnte dies besser bis ins hohe Alter tun, als Ständige Diakone mit großer Lebenserfahrung und im Alter. Auch diese Aufgabe muss im Hinblick auf den Ständigen Diakonat – und damit auch den Ständigen Diakonat im Alter – als Chance erkannt und neu im Hinblick auf die Ausbildung und Begleitung reflektiert werden.
Fazit
Auf dem Hintergrund der dargelegten Aspekte bedarf es einer angemessenen wohl bedachten Neuausrichtung des Ständigen Diakonats aus der Lebensrealität und -perspektive der Ständigen Diakone – bis hin zur Berufungsfrage im Alter. Seit der Wiedereinführung des Ständigen Diakonats wurde die Ausbildung wesentlich von zölibatär lebenden Personen und damit aus deren Lebensrealität und -perspektive bestimmt – auch als unpolitische Aufgabe.
Es ist notwendig, die Ehepartnerinnen in den Ausbildungsgang sowie die Begleitung der Diakone mit einzubeziehen, damit eine ganzheitliche diakonische Spiritualität wachsen und von den Ehepaaren jeweils originell ausgeprägt werden kann.
Eine Verpflichtung zu einem zölibatären Leben nach dem Tod der Ehefrau widerspricht dem existentiellen Angewiesen sein vieler Ständiger Diakone auf Beziehung. Daher sollte diese Verpflichtung nicht mehr mit der Weihe zum Diakon verbunden werden, sondern im konkret eintretenden Falle nur in der Entscheidung des Betroffenen selbst liegen. Damit löst sich gleichzeitig die Frage nach der Dispens.
Berufung ist nicht eine Frage einer bestimmten Lebenszeit. Gott beruft Menschen in unterschiedlicher Weise in die verschiedensten Aufgaben, Dienste und Ämter in Gesellschaft und Kirche bis ins hohe Alter. Gerade die Berufung zum Ständigen Diakonat bis im fortgeschrittenen Alter birgt in sich die Chance, sich aufgrund eigener Lebenserfahrungen und Qualifikationen in den heutigen gesellschaftlichen Gefahren einer Verschiebung von Werten christliche Werte mitten unter den Menschen unterschiedlicher Lebensweise, Lebensphilosophie zu repräsentieren und politisch handelnd einzubringen.
Die Berufungsfrage bezieht sich aber nicht nur für den Ständigen Diakon, sondern auch für Ehefrau. Es muss also immer wieder ausreichend Raum geschaffen werden, um vor wie nach der Ausbildung dies regelmäßig neu auszurichten.
Schließlich gelten dieselben Überlegungen auch für den Mann im Falle einer zukünftigen Weihe von Frauen zu Diakoninnen.
Mainz / Dalheim, 08.10.2024
Bernhard Brantzen, Diakon, Schönstätter Diakonen-Gemeinschaft (SDG)
[1] Siehe in der Anlage das Beispiel des Leitbildes der SDG
[2] Hier ist nicht parteipolitisches Engagement gemeint, sondern gesellschaftspolitisches Handeln für und mit den Menschen
[3] Die zentralen Inhalte des Grundgesetzes gründen auf den Werten der Katholischen Soziallehre, angefangen von Art. 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
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